Freitag, 23. August 2013

Farbenfreude...

Es hätte nur ein kleiner Einkauf auf dem Wochenmarkt werden sollen - nichts großes, ein paar Tomaten und etwas Dill für einen leichten Sommersalat...Aber die vielen kräftigen und leuchtenden, Farben und die herrlichen, nach Sommer riechenden Gerüche sind so verführerisch, dass man unmöglich mit nur einer handvoll Tomaten nach Hause gehen könnte.



Diese wie dichte Wellen wogenden Haufen und dieser Strom von Grün, der in der Eindeichung des Fahrdamms zu fließen schien gleich dem Hereinbrechen der Herbstregen, nahmen zarte und beperlte Schatten, weiches Veilchenblatt, milchig getöntes Rosa, in Gelb ertrunkenes Grün, alle bleichen Farben an, die beim Sonnenaufgang den Himmel zu schillernder Seide werden lassen; und in dem Maße, wie der Brand des Morgens in Stichflammen hinten in der Rue Rambuteau emporstieg, erwachte das Gemüse mehr und mehr und stach ab von der tiefen Bläue, die sich schwer über die Erde hinzog. Salat, Endivie, Lattich, Schikoree zeigten, noch von der fetten Gartenerde bedeckt, ihre strahlenden Herzen; die Spinat- und Ampferpacken, die Artischokensträuße, die Bohnen- und Erbsenhaufen, die Stapel von mit Strohhalmen zusammengebundenen römischem Salat sangen die ganze Tonleiter des Grüns vom Lackgrün der Schoten bis zum derben Grün der Blätter, eine anhaltende Tonleiter, die erst bei den Flecken der Selleriestengel und den Porreebunden erstarb. Aber die gellendsten Töne, die am lautesten Erklangen, waren noch immer die lebhaften Flecke der Möhren und die reinen Flecke der Kohlrüben, die in ungeheurer Menge über den ganzen Markt verstreut waren und ihn mit der grellen Zusammenstellung ihrer beiden Farben erhellten. An der Kreuzung der Rue des Halles türmte sich der Kohl zu Bergen: riesige Köpfe Weißkohl, fest und hart wie Kugeln aus bleichem Metall, Wirsingkohl, dessen große Blätter flachen Bronzebecken ähnelten, Rotkohl, den die Morgenröte in herrliche weinrote Blütenpracht mit karmin und dunkelpurpur Druckstellen verwandelte. Am anderen Ende, an der Kreuzung bei der Pointe Saint-Eustache, war der Zugang zur Rue Rambuteau durch eine Barrikade von orangefarbenen Kürbissen versperrt, die sich in zwei Reihen zur Schau stellten und ihre Bäuche vorstreckten. Und hier und da entflammten der Goldkäferlack eines Korbes Zwiebeln, das blutige Rot eines Haufens Tomaten, das verwischte Gelb einer Ladung Gurken, das dunkle Violett einer Traube Eierfrüchte, während große, zu Trauertüchern nebeneinandergelegte Schwarzrettiche Löcher von Finsternis inmitten der bebenden Freuden des Erwachens übrigließen.

(Zola, Emile: Der Bauch von Paris, S. 43-44)


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